Verdachtsberichterstattung, Eilverfahren – und das auffällige Schweigen der Behörden!
Hameln. Vor einem Jahr durchsuchten mehr als hundert Einsatzkräfte Wohnungen und Geschäftsräume in Hameln und Hannover. Was als groß angelegte Maßnahme begann, mündete Monate später in ein juristisches Nachspiel: Ein rechtswissenschaftliches Gutachten kommt zu dem Ergebnis, die Durchsuchung sei „rechts- und verfassungswidrig“ erfolgt; außerdem stünden im Raum, dass entlastende Aspekte in der Aktenführung nicht vollständig berücksichtigt worden seien. Seit Veröffentlichung unserer Verdachtsberichterstattung liegt der Redaktion—trotz mehrfacher, dokumentierter Anfragen—bis heute keine inhaltliche Stellungnahme der Polizeiinspektion Hameln-Pyrmont/Holzminden oder der übergeordneten Dienststellen vor.
Hinweis der Redaktion: Dieser Beitrag ist eine Verdachtsberichterstattung. Wir stützen uns auf ein vorliegendes Rechtsgutachten, Aktenauszüge sowie dokumentierte Presseanfragen. Betroffene Stellen wurden vorab und mehrfach um Stellungnahme gebeten.
Der Kern: Was behauptet niemand – was steht im Verdacht?
- Nicht behauptet wird, dass eine Person strafrechtlich schuldig ist oder Beweise „tatsächlich unterdrückt“ wurden.
- Im Raum steht der Verdacht, dass bei der damaligen Ermittlungsführung entlastende Aspekte nicht vollständig in die Ermittlungsakte eingeflossen sein könnten und die Eingriffsschwellen für eine Durchsuchung nicht rechtskonform begründet wurden.
- Das Gutachten eines renommierten Strafprozessrechtlers bezeichnet die damalige Maßnahme als „rechts- und verfassungswidrig“. Daraus folgt keine Schuldzuweisung, wohl aber ein erheblicher klärungsbedürftiger Sachverhalt.
Chronologie der maßgeblichen Punkte
- 17.10.2024: Großdurchsuchung in Hameln/Hannover mit über 100 Beamtinnen und Beamten.
- 27.08.2025: Das rechtswissenschaftliche Gutachten liegt vor; es kritisiert u. a. die Verhältnismäßigkeitsprüfung und die Vollständigkeit der Aktenlage, listet gravierende Dienstpflichtverstöße der Polizei Hameln unter Verantwortung von ZKD Leiter EKHK Manfred Hellmich auf. Die Durchsuchung wird im Ergebnis als „verfassungswidrig“ bezeichnet.
- 06.09.2025: Die Redaktion übersendet der Polizeiinspektion Hameln-Pyrmont/Holzminden eine Presseanfrage. Die darin gestellten Fragen erarbeitet die Redaktion auf Basis des vorliegenden Rechtsgutachtens. Die Beantwortung der Fragen ermöglicht eine weiterführende Bewertung des Ausmaßes des behördlichen Fehlverhaltens.
- 17.09.2025: Nachdem die Polizeidirektion Göttingen die Frist fruchtlos verstreichen ließ, lässt die Redaktion durch ihre Rechtsvertretung beim Verwaltungsgericht Göttingen (VG) ein Eilverfahren einleiten, um die Behörde zur Auskunft nach § 4 NdsPresseG zu verpflichten.
- 14. & 16.10.2025: Die Redaktion übersendet Presseanfragen mit detailliertem Fragenkatalog an die zuständigen Stellen (inkl. ausdrücklicher Bitte, ggf. entlastende Umstände mitzuteilen). Keine Antwort bis Redaktionsschluss.
- 17.10.2025: Diese Zeitung veröffentlicht nach vorheriger Ankündigung gegenüber der Polizei einen Artikel zu den bisherigen Feststellungen im vorliegenden Verfahren.
- Seit Veröffentlichung unserer Berichterstattung: keine Gegendarstellung, kein Rechtsschritt, keine inhaltliche Stellungnahme der Behörde gegenüber der Redaktion.
Der Fragenkatalog – worum es konkret geht
Die Redaktion bat die Behörde u. a. um Antworten auf folgende Punkte:
- Aktenführung: Wurden entlastende Informationen/Kontrollberichte vollständig und zeitnah in die Ermittlungsakte aufgenommen?
- Verhältnismäßigkeit: Welche milderen Mittel wurden vor der Durchsuchung geprüft oder ergriffen?
- Kontrollmechanismen: Welche internen Vier-Augen-Prüfungen, Sachleitungs- oder Führungskontrollen gab es?
- Nachbereitung: Wurden nachträgliche dienstliche/qualitätssichernde Prüfungen veranlasst—mit welchem Ergebnis?
- Strukturelle Verantwortung: Welche Funktionsebene trug die organisatorische Verantwortung für Vollständigkeit und Vorlage der Akten an die Staatsanwaltschaft?
Bislang blieb dieser Katalog unbeantwortet.
Öffentliche Wahrnehmung: Warum die Stille irritiert
Die Kombination aus
- einem Gutachten mit scharfer Kritik,
- mehrfachen unbeantworteten Presseanfragen und
- einem laufenden Eilverfahren
erzeugt in der Öffentlichkeit den Eindruck einer Transparenzlücke. Viele Leserinnen und Leser fragen, warum keinerlei Einordnung durch die Behörde erfolgt—selbst in der Form, offene Prüfungen zu bestätigen oder bestimmte Vorwürfe zu verneinen. Wichtig: Das Ausbleiben einer Reaktion belegt weder die Richtigkeit noch die Unrichtigkeit eines Verdachts. Es bleibt jedoch aufklärungsbedürftig.
Was jetzt auf dem Tisch liegt
- Ein Gutachten, das die Maßnahme hart kritisiert.
- Dokumentierte Presseanfragen mit konkreten, überprüfbaren Fragen.
- Ein Eilantrag der Redaktion beim VG Göttingen.
- Keine inhaltliche Stellungnahme der Behörde bis heute.
Warum die Sache über Hameln hinausweist
Der Fall berührt Grundfragen des Rechtsstaats:
- Wie werden Grundrechtseingriffe (Durchsuchungen) rechtlich sauber vorbereitet?
- Wie wird Vollständigkeit der Akten sichergestellt—inkl. entlastender Aspekte?
- Wie transparent kommunizieren Exekutive und Ermittlungsbehörden, wenn erhebliche Kritik im Raum steht?
Die Antworten sind nicht nur lokal relevant. Sie betreffen das Vertrauen, das Bürgerinnen und Bürger in fair geführte Verfahren setzen.
Die Redaktion bleibt gesprächsbereit
Die Redaktion hält ihr Angebot zur Stellungnahme aufrecht—jederzeit, in voller Länge, ungekürzt. Sollten Behörden oder Betroffene entlastende Informationen vorbringen, werden wir diese zeitnah und unverändert publizieren. Ziel ist Aufklärung, nicht Zuspitzung.
Appell der Redaktion: Transparenz ist die kürzeste Verbindung zwischen Vorwurf und Aufklärung. Wir bitten die zuständigen Stellen erneut, die offenen Fragen zu beantworten—im Interesse der Öffentlichkeit und des Vertrauens in staatliches Handeln.
Stand: 25.10.2025. Sollte eine Stellungnahme nach Redaktionsschluss eingehen, ergänzen wir den Beitrag fortlaufend. Der Herausgeber von Dossier Hameln, Tim Menke, ist zugleich Autor dieses Beitrags. Er war im Zusammenhang mit der damals durchgeführten Durchsuchung selbst betroffen. Die Redaktion legt Wert auf Transparenz über mögliche persönliche Berührungspunkte, die jedoch keinen Einfluss auf die journalistische Darstellung des Sachverhalts haben.
Bildquellen
- Großaufgebot der ZPD Hannover auf dem Weg zu einer verfassungswidrigen Durchsuchung: Privat
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